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Europa ist unter Beschuss. Wir können diese Bedrohung nur abwenden, wenn Europa geeint ist. Solange es keine Einstimmigkeit gibt, ist Europa ein Spielball böser Mächte. Wenn wir unsere Reihen schließen wollen, müssen wir zunächst die Wurzeln unserer europäischen Zivilisation, die Seele Europas, wiederentdecken. Nur auf diese Weise können wir uns einer gemeinsamen europäischen Identität bewusst werden. Ausgehend von diesem Verständnis müssen wir unsere politischen Entscheidungen treffen, unsere Gouverneure wählen und unsere Interessen formulieren.
Der politischen Debatte muss daher eine kulturelle Debatte über diese europäische Identität vorausgehen. Alle Bürger sollten sich an dieser kulturellen Debatte beteiligen. Die Gesellschaft muss von der Idee beseelt werden, dass die Europäer unwiderruflich zusammengehören. Diese Weisheit stammt unter anderem von dem Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942 ) und dem französischen EU-Chef Jacques Delors (1925-2023). Die Europäer sollten sich um Europa genauso kümmern wie um ihr Heimatland.
Eine solche kulturelle Debatte braucht eine Vorhut, die es versteht, die Kluft zu den Menschen auf der Straße zu überbrücken. Eine Vorhut, die komplexe Themen populär machen kann, ohne in einen Populismus der falschen Lösungen und Halbwahrheiten zu verfallen. Einen solchen Termin gibt es noch nicht. Es ist noch nicht gelungen, ein Europa zu vermitteln, das die Herzen der Menschen erobert, auch wenn die EU tonnenweise Geld in die Kultur steckt. Festivals, Kino, die Ergebnisse all dieser Schönheit verweilen ein wenig in der gesellschaftlichen Oberschicht, dem ‚Bildungsbürgertum‘. Europa braucht neue europäische Volksmärchen. Geschichten, in denen wir gemeinsam über unsere gemeinsame Zukunft fantasieren.
Identität kommt nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Herzen. Und Europa als Europäische Union ist ein (politisches) Projekt des Kopfes – des Verstandes – und nicht des Herzens. Die Suche nach Identität braucht also eher Künstler als Denker, stellt Emotionen über die Vernunft, Vorstellungskraft oder Fantasie über Wahrnehmung und Analyse. Es erfordert neben Vernunft auch Leidenschaft. Identität ist, wenn Sie erkennen, wer Sie sind und wohin Sie gehören. Das kann für diejenigen, die ihre Identität finden, eine überwältigende Erfahrung sein.
Die Identität kann aus dem abgeleitet werden, was in Ihrem Reisepass steht. Zu der Kirche, in der Sie getauft wurden. Die Sprache, die Sie sprechen. Wo Sie geboren wurden, wo Sie leben, wo Sie arbeiten. Das Zeug, das Sie verwenden. Oder zu Ihrem Bewusstsein über Ihre Herkunft. Auf die Geschichten, die Ihnen erzählt werden, die Erinnerungen, die Sie haben. Die Identität zeigt sich in den Rechten, die Sie haben – oder nicht haben.
Aber der Einzige, der in einer liberalen, offenen Gesellschaft mit Gewissensfreiheit letztendlich für Ihre Identität verantwortlich ist, sind Sie selbst. Kriege werden darum geführt, dass man seine Identität frei wählen darf. Russland verweigert dieses Recht den Ukrainern, China den Taiwanesen.
Wo die Identität von Einzelpersonen aufeinander trifft, kann eine Gruppenidentität entstehen. Politische Gruppeninteressen entstehen aus diesem Gefühl der Zugehörigkeit, diesem ‚Gefühl der Zugehörigkeit‘. Sie sind eine rationale Ableitung des Gruppengefühls. An diesem Punkt wird die Identität auch politisch konkret: real, rational, materiell und manifest. Die Unterdrückung der Gruppenidentität (z. B. Sprache und Religion) oder die soziale Marginalisierung einer Gruppe führt immer zu Subversion, zum Widerstand gegen die (über-)herrschende Gesellschaftsordnung und zu deren Unterminierung.
In diesem Zusammenhang spricht die Europäische Kommission von der Europäischen Union als „der europäischen Familie“, die durch „gemeinsame Werte“ zusammengehalten wird. Aber in dieser Familie gibt es eine Menge politischer Fehden, nicht zuletzt über diese angeblich gemeinsamen Werte. ‚Familie‘ klingt wärmer als ‚Rechtsstaatlichkeit‘, aber auch stammesbezogen: als Mitglied des europäischen Stammes (‚tribe‘) gehören Sie offenbar dazu oder nicht, basierend auf ansonsten eher willkürlichen Kriterien, die sich vage auf Geographie und Kulturgeschichte, ethnische Zugehörigkeit, Religion und dergleichen beziehen. Die Grenzen Europas sind umstritten, nicht nur geografisch, sondern auch ideologisch. Was an einem Ort akzeptiert wird, lässt einem anderswo die Haare zu Berge stehen. Was hier als Toleranz gilt, ist die moralische Verderbtheit, gegen die die Menschen anderswo wettern.
Die ‚Seele Europas‘ beherbergt das, was uns trotz unserer gegenseitigen Streitigkeiten miteinander verbindet. Das, was wir gemeinsam haben und gemeinsam schätzen. Diese Seele umfasst unsere kulturelle, historische und ethnographische Vielfalt. Es ist die Zivilisation, innerhalb derer wir solidarisch sind. Diese Zusammengehörigkeit ist für das Überleben der europäischen Zivilisation notwendig. Ohne sie wird Europa in gegenseitigem Zwist und Separatismus untergehen.
Dieser Sinn für eine gemeinsame Zivilisation erklärt, warum das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen hat, ohne dass ein Schuss gefallen ist, während es sich jetzt loyal an die Seite der EU im Krieg gegen Russland in der Ukraine stellt.
Einige andere Zivilisationen sehen unsere als Bedrohung an. Das ist nicht unverständlich, denn einst waren sie Europa, den europäischen Nationen, gnadenlos unterworfen. Aber wir haben seit 1945, nach unserer eigenen Barbarei, Buße getan. Wir glauben nun, dass wir lediglich das Beste für die Welt tun, indem wir verkünden, was wir als universelle (sprich: überlegene) Werte ansehen. Aber der Rest der Welt ist noch nicht überzeugt. Das ist die Situation.
Einstimmigkeit ist umso wichtiger, als Europa in der Ukraine für sein Streben nach Selbstbestimmung angegriffen wird. Deshalb will die Ukraine zu Europa gehören: Dort ist sie sicher. Autokraten wie Wladimir Putin und Xi Jinping verachten unsere europäische Lebensart: Den Lebensstil der offenen Gesellschaft. Aufgeschlossen und kollektiv nach Menschlichkeit strebend. Sie versuchen, unser Vertrauen in unsere Gesellschaft und unsere Institutionen zu untergraben. Deshalb müssen wir die Seele Europas verteidigen.
Was macht Europa so lebenswert und wie können wir es verteidigen? Auf diese Fragen suchen wir Antworten und deshalb bitten wir Sie, Ihre Stimme zu erheben, indem Sie sich an der Diskussion auf dieser Plattform beteiligen. Wir können dies nicht nur unseren politischen Eliten anvertrauen. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Wir müssen die Debatte populär machen und auf die gesamte Bevölkerung ausweiten, wenn die europäische Zivilisation die Herausforderungen unserer Zeit meistern soll.
Um eine neue, inspirierende Geschichte über Europa zu erzählen, müssen wir uns zunächst der Situation stellen, in der wir uns befinden. Jahrhundertelang hat Europa die Welt beherrscht und die menschliche Zivilisation nach seinem Bild geschaffen. Kein Kontinent ist davon verschont geblieben. Europa hat die Welt kulturell, politisch und wirtschaftlich kolonisiert. Mit der Wissenschaft und mit der Kunst. Mit dem Handel und mit der Industrie. Militär und Zivilisten. In guten wie in schlechten Zeiten. Die ganze Welt wurde mehr und mehr europäisch.
Die kosmopolitische Welt verströmt immer noch europäische Anziehungskraft, aber die europäische Blütezeit ist vorbei. Andere Zivilisationen sind jetzt auf dem Vormarsch. Sie teilen nicht unsere Ansicht, dass unsere Werte universell sind. Zum Beispiel, dass es vor allem die individuelle Freiheit ist, die eine unvergleichliche Kreativität freisetzt. Dass dies eine ungezügelte wirtschaftliche Dynamik mit unaufhaltsamen Innovationen schafft.
Europa hat sich lange Zeit von seinem eigenen Fortschrittsglauben blenden lassen, ohne sich um die Folgen für andere Zivilisationen zu kümmern. Aber die Gegner Europas, die Autokraten, geben uns jetzt eine Kostprobe ihrer eigenen Medizin. Es ist geopolitischer Revanchismus, was Wladimir Putin und Xi Jinping gegen uns aushecken.
Gegen diese Versuche, Europa zu unterminieren und zu unterwerfen, müssen wir Widerstand leisten. Weil uns Europa am Herzen liegt. Die offene Gesellschaft mit ihrer bürgerlichen Freiheit, ihrem politischen Pluralismus, ihrer Demokratie und ihrer unabhängigen Justiz ist verwundbar. Angreifbar wegen seiner Toleranz gegenüber Andersdenkenden und seiner Abneigung gegen Unterdrückung. Sie können ihn nicht mit politischer Repression verteidigen, denn das ist genau das, was seine Gegner beabsichtigen: Das bedeutet das Ende der Offenen Gesellschaft.
Der Krieg in der Ukraine ist ein Kulturkrieg gegen die offene Gesellschaft. Deshalb wird er nicht bei der Eroberung der Ukraine stehen bleiben.
Deshalb muss sich Europa mit kulturellem Selbstbewusstsein wappnen. Dabei sollten wir nicht in die Falle der Selbstzufriedenheit tappen. Wir dürfen uns nicht selbstgefällig in unserer eigenen Rechtschaffenheit suhlen. Stattdessen wollen wir kritisch nach einer neuen europäischen Geschichte suchen, die von einem tieferen Zugehörigkeitsgefühl und einem gemeinsamen Zivilisationsideal ausgeht, ohne ein starres, politisches Programm, sondern von einer offenen Basis aus. Mit dem Stift als Waffe im Anschlag, aber immer mit offenem Visier. Zu den Waffen! Pax Europea: Unitum humanitatis!